Surfunfall

Auf einer Welle mit der Medizin

Auf einer Welle mit der Medizin

Datum:
Ort:
Nazaré
Lesedauer:
4 MIN

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.

Am 5. Januar 2023 verunglückte ein brasilianischer Extremsurfer in den Riesenwellen des portugiesischen Küstenortes Nazaré. Es ist der erste Unfall mit Todesfolge an diesem globalen Surf-Hotspot . Profisurfer Sebastian Steudtner sieht einen Grund in den mangelnden Sicherheitsvorkehrungen vor Ort. Der Weltrekordhalter weiß um die Gefahren der Wellen und nutzt schon länger die Expertise aus der Militärmedizin.

Zwei Männer halten eine Urkunde und blicken in die Kamera

Seit dem 29. Oktober 2020 ist Sebastian Steudtner (rechts) mit dem höchsten Ritt auf einer Welle von 26,21 Metern Weltrekordhalter. An seiner Seite (links): Flottillenarzt Dr. Axel H.

Privat

26,21 Meter – diese Wand von einer Welle gilt es am Ende zu bezwingen. Per Funk gibt der Spotter im Team durch, dass jetzt die entscheidende Phase beginnt und Profisurfer Sebastian Steudtner lässt die Leine seines Jetski-Fahrers los. Während er mit mehr als 80 km/h über das Meer gleitet und am Strand nur das gewaltige Grollen des Wassers zu hören ist, lässt ihn sein Leibarzt, Flottillenarzt Dr. Axel H., nicht aus den Augen. Der Mediziner vom Bundeswehrkrankenhaus Hamburg ist für die Sicherheit und die Notfallversorgung in dieser Ausnahmesituation zuständig.

„Wir haben nur 15 bis 20 Sekunden, um ihn bei einem Sturz aus dem Wasser zu bekommen. Danach bricht die nächste Welle. Je größer das Intervall zwischen den Wellen, desto mehr Kraft hat auch die Welle, die danach kommt. Besonders gefährlich wäre es, wenn die Wellenlippe Sebastian erwischt und ihn dann mit voller Gewalt unter Wasser drückt“, erklärt der Mediziner.
Eine Welle dieser Größe umfasst 500.000 Tonnen Wasser. Hier muss alles passen. Das Team optimal vorbereitet sein. Die Jetski-Fahrer erfahren und schnell, mit der Fähigkeit die Wellen „lesen“ zu können. Auch der Funkkontakt muss klar und effizient sein.

Funkdisziplin auf der Welle

Das Team um Steudtner und H. nutzt zum Beispiel eine eigene Frequenz beziehungsweise eine verschlüsselte Frequenz. „In Anlehnung an die Ausrüstung der Kampfschwimmer benutzen wir auch Sets mit Knochenleitung von Imtradex. Die Funkdisziplin und eine einheitliche Sprachregelung sind ebenso entscheidend, damit im Ernstfall keine Missverständnisse entstehen oder gar Unbeteiligte dazwischenfunken“, so der Mediziner. 

Am 29. Oktober 2020 schaffte Sebastian Steudtner im portugiesischen Nazaré die höchste jemals gesurfte Welle. Ein Erfolg, den er auch seinem Arzt und inzwischen Freund zuschreibt, der ihm viel von seiner Freizeit widmet. Denn eigentlich arbeitet der Flottillenarzt hauptberuflich im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg. Zu der ungewöhnlichen Nebentätigkeit kam es für den Marinesoldaten, Not- und Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde eher durch Zufall.

Zehnjährige Partnerschaft

Ende 2013 begleitete Flottillenarzt Dr. Axel H. den Profisurfer Sebastian Steudtner zum ersten Mal nach Nazaré. In dem Örtchen, 120 Kilometer von Lissabon entfernt, ragt ein Unterwasser-Canyon von bis zu 5.000 Metern in die Tiefe. Seit 2016 wird an dieser „Sandbank, die Witwen macht“, wie sie die Portugiesen nennen, die World Surf League der Big Waves ausgetragen.

Extremsportler Sebastian Steudtner weiß um das Risiko. Bei einem Sturz muss er in der Lage sein, mindestens vier Minuten Apnoe zu überbrücken ohne ohnmächtig zu werden, um eine Chance zu haben, wieder an die Wasseroberfläche zu gelangen. Um so mehr ist er daran interessiert, für den Fall der Fälle maximal gut vorbereitet zu sein und ein hervorragendes Team zu haben.

Self-Made-Sicherheitskonzept

Flottillenarzt Dr. Axel H. beginnt mit Steudtner Sicherheitschecklisten, Funksysteme und Notfallpläne zu entwickeln. Auch jetzt noch feilen beide das komplette Jahr über an dem bestmöglichen Sicherheitsstandard für den Extremsurfer. H. kombiniert damit sein Wissen als Marineoffizier, als Taucher- und Fliegerarzt, der Tätigkeit als Notarzt und der seiner eigenen sportlichen Erfahrungen.

„Wir haben inzwischen ein sehr gut trainiertes und eingespieltes Team. Auf der Klippe steht ein Spotter, der aus einem Wellenset die beste für Sebastian raussucht, dann ein Jetski, der Sebastian in die Welle zieht, sowie ein Safety-Jetski in direkter Nähe. Am Strand stehe ich mit dem Sicherheitsteam, den Rettungsschwimmern und dem Quad, dass eine komplette Notfallausstattung beinhaltet – inklusive Defibrillator und Sauerstoff. Im Ernstfall müssen wir die Zeit im Wasser und am Strand so kurz wie möglich halten, den Weg zum Rettungswagen überbrücken“, so der Flottillenarzt.

Keine Seltenheit: Ausgefallene Hobbies

Ein Soldat in weißem Hemd blickt in die Kamera

Flottillenarzt Dr. Axel H. ist Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde sowie Flieger- und Taucherarzt im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg. Mit Sebastian Steudner erarbeit er die bestmöglichen Sicherheitsstandards für den Extremsurfer

Privat

Extremsport und Notfallmedizin haben allerdings nicht nur die Versorgung im Ernstfall gemeinsam. Es gibt erstaunlich viele Parallelen. Vielleicht auch einer der Gründe dafür, dass viele der Kollegen am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg die Leidenschaft für das Surfen und die Besonderheiten des Wassers teilen.

Ein Beispiel hierfür ist der Klinische Direktor der Allgemein- und Viszeralchirurgie, Flottenarzt Dr. Wilm Rost. Er bevorzugt allerdings Wellen bis maximal vier Meter oder alternativ das Segelboot. Er hat vor Sebastian Steudtners und Axel H.s Arbeit den größten Respekt:

„Die Arbeit der beiden hat mich immer sehr fasziniert. Und nicht nur, weil sie die ersten waren, die die Sicherheitsstandards im Bereich des Extremsurfens revolutioniert haben – mit Funktechnik ähnlich der der Marine bei Spezialoperationen.“ Für ihn haben Extremsportarten und die Notfallchirurgie, die Einsatzmedizin oder auch die Operationen von Spezialkräften viel gemeinsam. Dabei geht es um gute Vorbereitung, ein eingespieltes Team, optimale klare Kommunikation, perfekte technische Umsetzung und gegenseitiges Vertrauen. „Ich vergleiche für mein Team eine Notoperation auch gerne mit einer großen Welle beim Surfen. Man hat nur eine einzige Chance, man muss sie am richtigen Punkt erwischen und man muss sie dann zu Ende reiten“, erklärt Rost.

Flottillenarzt Dr. Axel H. möchte den Sport so sicher wie möglich zu machen. Aber egal ob in den Bergen oder auf dem Meer - ein Restrisiko werde immer bleiben. „Wir sind allein mit der Natur und die hat eine gewaltige Kraft. Die ist und bleibt zum Teil unberechenbar.“

von Dr. Constanze Witzel

Bei manchen Mobilgeräten und Browsern funktioniert die Sprachausgabe nicht korrekt, sodass wir Ihnen diese Funktion leider nicht anbieten können.